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Sieben Prinzipien für die Auswahl von Softwarepaketen

Dies ist meine Zusammenfassung eines Artikels von J. Damsgaard und J. Karlsbjerg, erschienen in CACM, August 2010, Vol. 53, No. 8, Seite 63 ff http://doi.acm.org/10.1145/1787234.1787252. Obwohl ich den Text gerafft habe, ist es doch etwas lang geworden. Ungeduldige können gleich zur Schlussfolgerung springen.

  1. Wenn Du Software kaufst, trittst Du ihrem Netzwerk bei
  2. Sieh die langfristige Perspektive: Plane die Zukunft, aber bedenke die Vergangenheit
  3. Bei der Auswahl von vorgefertigter Software ist man in der Menge sicher
  4. Konzentriere Dich auf Kompatibilität und hüte Dich vor falschem Gold
  5. Wähle ein Softwarepaket mit erreichbarem Wissen
  6. Wähle Software mit der richtigen Art von Standardisierung
  7. Alle Reisen beginnen mit dem ersten Schritt
  8. Schlussfolgerung

In der Mitte der 1950er Jahre, in den ersten Jahren der kommerziellen Nutzung von Computern, wurden alle Softwaresysteme innerbetrieblich entwickelt. Weil ich zu dieser Zeit noch nicht gelebt habe und hier auch keinen Abriss der Geschichte der Softwareentwicklung und -nutzung geben will, mache ich einen großen Sprung vorwärts in die heutige Zeit mit ihrem riesigen Angebot an vorgefertigten Softwarepaketen für die unterschiedlichsten Einsatzgebiete und -zwecke.

Vorgefertigte Softwarepakete sind Informationssysteme, deren Umsetzung im wesentlichen identisch ist. Das heißt, die Hauptfunktionalität ist gleich für alle Benutzer. Während die Kernkomponenten eines Pakets identisch über alle Benutzer sind, ist die Implementierung bei jeder individuellen Organisation so konfiguriert, dass sie an die Anforderungen dieser Organisation angepasst ist. Neben kommerzielen Softwarepaketen (im englischen manchmal commercial off-the-shelf bzw. COTS software genannt), gelten die Betrachtungen hier ebenso für freie und Open Source Software.

Hier wird als Standardsoftwarepaket bezeichnet: eine Sammlung von Softwarekomponenten, die zusammengenommen eine Reihe von Aufgaben erfüllen, welche von einer Nutzergruppe benötigt werden. Wenn ein Paket von vielen angewendet wird, formt es einen Standard, da seine Kernkomponenten identisch über alle Installationen sind.

Die präsentierten Richtlinien sollen helfen, besser informierte Entscheidungen bei der Auswahl von Softwarepaketen zutreffen. Das erste Prinzip ist grundlegend für die anderen sechs.

Wenn Du Software kaufst, trittst Du ihrem Netzwerk bei

Die Anwender und Hersteller eines Softwarepakets bilden ein Netzwerk von Beteiligten, die ein gemeinsames Interesse am Schicksal des Paketes haben. Das Netzwerk ist virtuell in dem Sinne, dass die Mitglieder einander wahrscheinlich gar nicht kennen. Trotzdem haben sie das gleiche Interesse ihren Einsatz zu schützen und die weitere Entwicklung des Pakets zu sichern. Indirekt hat dieses Netzwerk noch andere Interessen gemein, zum Beispiel Training und Ausbildung von Personal.

Das Netzwerk um das Softwarepaket hat Auswirkungen auf die Kauf- bzw. Einsatzentscheidung und muss bei dieser Entscheidung berücksichtigt werden. Neben den Anwendern und Herstellern umfasst das erweiterte Netzwerk noch Zwischenhändler, standardsetzende Institutionen, staatliche Authoritäten und andere kompatible Produkte. Es ist unbedingt erforderlich am Netzwerk teilzunehmen um den größtmöglichen langfristigen Nutzen zu bieten, während sich Organisation, Netzwerk und Softwarepaket gemeinsam weiterentwickeln.

Im Netzwerk hängt die Verteilung von Macht und Einfluss hauptsächlich davon ab, wer das Paket kontrolliert und damit seine Weiterentwicklung. In den meisten Fällen übt der Hersteller die meiste Macht über das proprietäre Netzwerk der Software aus. Wenn sich die Benutzer vereinigen kann die Macht des Herstellers angefochten werden. Ein Beispiel dafür ist die wiederholte Verlängerung der Laufzeit von Microsoft Windows XP.

Open Source Software auf der anderen Seite gehört nicht einem Einzelnen. Sie ist stattdessen so angelegt, dass geteiltes Eigentum daran gefördert wird. Open Source kann unattraktiv und riskant erscheinen, weil es keine zentrale Stelle gibt, von der Auskunft über die Software und ihre weitere Entwicklung erhältlich ist. Andere sehen gerade das als Vorteil, weil es die Standardsoftware vor opportunistischen Aktionen profitmaximierender Softwarehersteller schützt.

Sieh die langfristige Perspektive: Plane die Zukunft, aber bedenke die Vergangenheit

Viele Entscheidungen in den frühen Phasen der Computernutzung einer Organisation haben erstaunlich langandauende Konsequenzen, da sowohl Software- als auch Datenstandards sich als sich als langlebig erwiesen haben.

Wenn wir Software anschauen, sollten wir daher an die Zukunft denken und die in der Vergangenheit angeschaffte Software berücksichtigen, dabei auch das zur Software gehörende Netzwerk und ihren Entwicklungsprozess nicht vergessen.

Bei der Auswahl von vorgefertigter Software ist man in der Menge sicher

Ein Weg, um die wahrgenommenen Risiken bei der Anschaffung von vorgefertigter Software abzuschwächen, ist, ein Paket nach seinem bisherigen Erfolg auszuwählen. Wobei der Erfolg am finanziellen Erfolg des Herstellers und der Größe des zugehörigen Netzwerks gemessen wird. Schwarmverhalten ist eine risikoarme Strategie, die geeignet ist für Software, die keine Kernfunktionialität (des eigenen Geschäfts) unterstützt und für Unternehmen, die sich eher als Mitläufer sehen.

Konzentriere Dich auf Kompatibilität und hüte Dich vor falschem Gold

Aufgrund der langen Lebenserwartung von Unternehmensdaten, die in irgendeinem (oft proprietären) Format gespeichert sind, wird Rückwärtskompatibilität zu einem bestimmenden Faktor, wenn es um die Anschaffung neuer Software geht. Manchmal befolgt eine Software auch einen allgemeinen Standard und erlaubt damit Anwendern die Auswahl zwischen konkurrierenden Paketen nach Eigenschaften wie Preis, Leistungsfähigkeit, Benutzbarkeit, usw.. Meistens ist Kompatibilität jedoch keine eindeutig zu entscheidende Frage.

Ein Hersteller könnte seine Software vom Wettbewerb differenzieren, indem er eigene Erweiterungen und Eigenschaften zu einem ansonsten offenen Standard hinzufügt. Diese Geschäftspraxis wird im angelsächsischen Sprachraum auch Embrace, extend, and extinguish genannt. Diese Praxis, eigene Erweiterungen zu einem (offenen) Standard hinzuzufügen, ist dann erfolgreich, wenn einige Anwender die Erweiterungen nützlich finden und benutzen. Es ist jedoch zu beachten, dass diese proprietären Erweiterungen, die für einzelne Anwender nützlich sein mögen, in Wirklichkeit Falschgold für das Netzwerk insgesamt sind. Jedesmal, wenn eine proprietäre Erweiterung verwendet wird, erhöht sie die Wechselkosten. Was bedeutet, das es schwerer wird, von der Software, die diese Erweiterungen enthält, wegzukommen.

Ein Beispiel für proprietäre Erweiterungen, die als Falschgold angesehen werden, lieferte die Firma Linksys (die zu Cisco gehört). Diese versah ihre drahtlosen Netzwerkgeräte mit proprietären Erweiterungen und verdoppelte so den Durchsatz gegenüber dem Standardprotokoll IEEE 802.11b. Während die Produkte immer noch rückwärtskompatibel waren mit dem offenen Standard der IEEE gab Linksys seinen Nutzer einen starken Anreiz, ausschließlich Linksys-Hardware zu verwenden. Ein anderer großer Hersteller, D-Link, machte genau dasselbe. Jedoch waren die proprietären Erweiterungen von Linksys und D-Link nicht kompatibel. Für die Benutzer dieser Erweiterungen besteht die Gefahr, dass diese nicht kompatibel mit der nächsten Version des offenen Standards werden. Und, falls die proprietären Erweiterungen fest verwurzelt sind, wird niemand den neuen Standard verwenden wollen.

Unternehmen sollten sich ihre Optionen offen halten, indem sie vorgefertigte Software anschaffen, die nahe an offenen Standards sind. Und wenn sie bereits proprietäre Standardpakete nutzen, sollten sie nach Übergangsstandards Ausschau halten als Weg um aus dem dadurch verursachten Lock-in auszubrechen.

Generische Softwarepakete passen nicht auf alle Anforderungen eines Unternehmens. Daher gibt es jede Menge Optionen als Teil des Paketes um es, wie benötigt, zu konfigurieren. Oft schaffen lokale Praktiken oder kulturelle Fragen den Wunsch nach weitergehender, kundenspezifischer Anpassung. Diese ist lukrativ für lokale Softwarehändler und mag für die Anwender glänzend erscheinen, könnte sich jedoch aus verschiedenen Gründen als Falschgold erweisen. Zum einen kostet es Geld, und repräsentiert verlorene Kosten, die die Auswahl einschränken, wenn der Servicevertrag verlängert werden soll. Zum anderen müssen üblicherweise die kundenspezifischen Anpassungen neu implementiert werden, wenn das Softwarepaket auf die nächste Version aktualisiert wird.

Wähle ein Softwarepaket mit erreichbarem Wissen

Wenn ein Unternehmen kundenspezifische Software einsetzt, muss es die ganze Last des Trainings und des Vorhaltens von Personal für die Weiterbildung zur Nutzung der Software tragen. Vorgefertigte Software hingegen verspricht Zugang zum Wissen über die Anwendung und Einführung dieser Software. Idealerweise steht dem Netzwerk von Unternehmen, die die Software benutzen ein Netzwerk von kompeteten Individuen, die die Software konfigurieren und benutzen können, gegenüber. Oft jedoch sind Nachfrage und Angebot bei bestimmten Fähigkeiten nicht aufeinander abgestimmt.

Die Hersteller verwenden verschiedene Strategien, um sich einen Fundus von sachkundigen Benutzern ihrer Software zu sichern. Eine Strategie ist es, kostenlose oder billige Versionen herzustellen, so dass interessierte Leute diese eher ausprobieren. Eine andere Variation besteht darin "akademische Versionen" frei verfügbar zu machen oder diese mit Lehrbüchern, die in Bildungsanstaltungen verwendet werden, zu bündeln. Bei Open Source Software ist das etwas komplexer, weil es hier oft keine einzelne vertrauenswürdige Institution gibt. Hier werden andere Formen gesucht, zum Beispiel der Rang einer Person in Empfehlungsdiensten, wie Diskussions-Websites.

Die gemeinsame Entwicklung der beiden Netzwerke (der der Produzenten und der Anwender) hat eine hohe Pfadabhängigkeit bis zum Punkt der Unumkehrbarkeit. [Was soviel heissen soll, das die Nutzer vom Wissen der Produzenten abhängig sind und die Produzenten von den Nutzern (mehr wohl von ihrem Geld)]. Für eine neue konkurrierende Software, die ohne vorhandenes Netzwerk startet, bilden die vorhandenen Netzwerke eine enorme Einstiegsbarriere, die schwierig zu überwinden ist.

Wähle Software mit der richtigen Art von Standardisierung

Standardisierung kann auf verschiedenen Ebenenen und in verschiedenen Formen erreicht werden.

Die Standardisierung der Benutzeroberfläche ist eine Strategie, die angewendet wird um den Trainingsbedarf der Anwender zu begrenzen.

Bei der Standardisierung der Ausgabe ist die einzige Kompatibilitätsbeschränkung der Software, dass sie eine Ausgabe produzieren muss, die vom empfangenden Benutzer oder Software verwendet werden kann. Ein Beispiel ist die Produktion von Webseiten.

Ein Unternehmen kann die Standardisierung von Datenstrukturen aus zwei Gründen wählen: um Rückwärtskompatibilität zu Daten in Altsystemen zu erhalten, oder um den Zugang zu den Daten von zukünftigen Datenverarbeitungssystemen zu sichern.

Die Standardisierung von Kompetenzen können Unternehmen vorantreiben, indem sie nur Leute mit bestimmten Kompetenzen einstellen, oder indem sie die Kosten für das Training der Leute bis zu einem bestimmten vorgegebenen Grad übernehmen (vgl. Prinzip 5). Dabei können Unternehmen zwei Typen von Kompetenzen standardisieren: generische und spezifische. Generische Kompetenzen sind zum Beispiel kritisches Denken, Programmierung, Geschäftswissen usw.. Spezifische Kompetenzen erfassen die Qualifikation mit einem bestimmten Softwarepaket. Diese können vom Hersteller oder einem vertrauenswürdigen Dritten zertifiziert werden.

Man könnte argumentieren; wenn alle die gleiche Standardsoftware benutzen, wo soll denn dann der Wettbewerbsvorteil herkommen? Als Faustregel empfehlen die Autoren Unternehmen, in allen Gebieten, die nicht zum Kerngeschäft gehören, zu folgen und zu standardisieren, um die Kosten zu senken. Um sich zu differenzieren sollten Unternehmen bereit sein, in den Kernbereichen zu führen und einen höheren Grad an Unsicherheit bezüglich Standards zu tolerieren.

Alle Reisen beginnen mit dem ersten Schritt

In einem Markt mit schnellen Modernisierungszyklen und vielen Optionen, könnten einige Käufer eine Abwarten-und-Teetrinken Position einnehmen, während sie den Rest des Marktes die konkurrierenden Produkte testen lassen. Natürlich verringert diese Strategie das Risiko Geld und Zeit in ein Produkt zu investieren, das später am Markt verliert. Die Autoren empfehlen davon Abstand zu nehmen.

Zum Einen wird sich ein Gewinner nur herausstellen, wenn eine Software aktuell benutzt wird. Somit hat ein Unternehmen eine größere Change eine passende Software zu finden, wenn es selber aktiv im Auswahlprozess wird (in die Software investiert).

Zum Anderen ist eine weitere Entwicklung der Software unausweichlich. Und während ein Unternehmen darauf wartet, dass eine genau passende Software auftaucht, können sich ihre Anforderungen schon wieder geändert haben. Es kann sein, dass es nie etwas genau passendes gibt. Wenn man zu lange wartet und sich schließlich entscheidet, können Aktivitäten wie die Überführung von Altsystem zu beachtlichen Aufgaben heranwachsen, weil sich kaum noch jemand findet, der sowohl das Altsystem als auch die neue Software beherrscht.

Schlussfolgerung

Hier ist eine Checkliste, die man zusätzlich zu den technischen Eigenschaften einer Software und dem Preis evaluieren sollte, bevor man sich für eine Software entscheidet.

Die Prinzipien können vor der Anschaffung von Software verwendet werden und ebenso um die Vitalität bereits eingesetzter Software zu bewerten.

Um auf die Frage zurückzukommen, wo denn der Wettbewerbsvorteil liegt, wenn alle die gleichen Softwarepakete verwenden. Kurz und bündig als Paradox ausgedrückt: In der Welt der Softwarepakete kommt der Vorteil daher, dass man dieselben Pakete verwendet wie alle anderen, bevor die anderen sie verwenden. Somit kommt der Vorteil von der Fähigkeit die Pakete der Zukunft zu erkennen und verwenden bevor sie allgemeine Norm werden, und die Pakete der Vergangenheit zu identifizieren und stufenweise abzubauen, bevor sie zu Altlasten werden.

Posted 2011-07-13
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